Ein wilder Gletscheraufstieg und eine Abfahrt im Herzen der Écrins"
Früher hielt der Winter in den Alpen oft bis weit in den Mai, manchmal sogar bis Juni. Im April 2025 fühlte es sich dagegen eher so an, als würde die Saison so langsam ausklingen. Die Täler wurden grün, die Skigebiete braun, die Lifte fuhren nicht mehr, und die Saisonabschlusspartys liefen auf Hochtouren.
Zum Glück für uns schaffte es das Écrins-Massiv – nicht ganz nördlich, nicht ganz südlich, nicht ganz westlich, nicht ganz östlich –, noch genug Feuchtigkeit aus den Wolken zu pressen, um uns eine halbwegs brauchbare Tourensaison zu bieten. Die Bedingungen waren nicht perfekt, aber bei zwei Metern Schneeunterlage konnte man zumindest losziehen und die Berge erkunden.
Deshalb entschieden wir uns, eine der Traumabfahrten anzugehen: den Col Claire. Auf skitour.fr hatten wir ein paar aktuelle Berichte gesehen, und es sah so aus, als könnte in den schattigen Ecken der Gletscher Lautaret und Armande noch guter Schnee liegen.


Auf dem Weg zum Col Claire
Der Col Claire liegt zwischen Grenoble und Briançon, im Parc National des Écrins. Ausgangspunkt ist ein Hameau namens Pied du Col, der offiziell noch zum Dorf Villar d’Arêne gehört. Die Straße zum Parkplatz geht kurz nach Villar rechts von der D1091 ab (der Hauptstraße von Grenoble) und liegt etwa 10 km vor dem Col du Lautaret.
Am 8. April starteten wir um 5:45 Uhr im Dunkeln von Pied du Col. Es ist schon verrückt, wie die kalte Gletscherluft nachts in dieses Tal strömt. In Villar d’Arêne waren es -1 ℃, am Parkplatz, nur etwa 2 km entfernt, aber auf gleicher Höhe, schon -6 ℃. Los ging es zu Fuß – und das sollte größtenteils auch so bleiben, nur wussten wir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht –, weil im Tal noch kein Schnee lag.

Wir arbeiteten uns flink über den gefrorenen Weg, unsere Stirnlampen tanzten im Dunkeln. Alle froren, mit so kalter Luft hier unten hatten wir nicht gerechnet. Nach ein paar Kilometern stand die Querung der Romanche an, hinein ins Tal des Torrent de l’Homme, der den Schnee und die Gletscher von La Meije (3.983 m), Le Pavé (3.831 m), Pic Gaspard (3.882 m) und Pointe Piaget (3.534 m) entwässert, um nur einige der hohen Gipfel zu nennen. Diese Berge bilden ein riesiges, nach Norden ausgerichtetes Hochalpenbecken, eine der am stärksten vergletscherten Regionen der Écrins.
Die Brücke über die Romanche wurde bei den Überschwemmungen 2024 weggespült. Jetzt geht’s über ein paar Trittsteine rüber. Kurz danach begann der Schnee, aber er war zu hart und das Gelände zu steil zum Skifahren, also ging es zu Fuß weiter. Eine super Gelegenheit, unsere französische Technik zu üben: d.h. die Füße auseinanderstellen, damit die Sohlen Kontakt zum Hang haben, statt nach vorne zu spitzen.
Nach ein paar hundert Höhenmetern, brachen wir langsam durch die gefrorene Kruste – besonders ich, das schwerste Mitglied der Gruppe. Dabei löste sich irgendwie mein geliebter Helm aus seinem Kokon am Rucksack. Er purzelte den eisigen Hang hinunter und blieb dann wie durch ein Wunder auf einer Felsstufe liegen. Gerade als ich dachte, dass der Sturz gestoppt war, rollte mein Gehirnschutz langsam aber sicher über den Rand, und setzte seine fröhliche Reise den Berg hinunter fort, bis er aus dem Blickfeld verschwand. Ich merkte mir ungefähr die Stelle. Es würde also ein Helm-loses Abenteuer werden, aber wir waren uns einig: Mit Stirnband und Sonnenbrille sah ich aus wie ein Guide – irgendwie cool.

Wir kämpften uns weiter hinauf zur Moräne und den letzten Eisresten des unteren Armandes-Gletschers. Oben war es schon viel wärmer, und die ersten Sonnenstrahlen trafen die nach Osten gerichtete Moräne. Der morsche Haufen aus Felsen wirkte fast wie der wütende Geist des geschmolzenen Gletschers, der kleine und weniger kleine Steine in unsere Richtung schleuderte. Schnell stiegen wir einen flachen Couloir hoch, bis zu einem kleinen Aussichtspunkt direkt vor den drohenden Seracs des Glacier du Lautaret – Adrenalin inklusive.
Unter den Seracs: Überqueren – ja oder nein?
Ein wirklich beeindruckender Anblick, unter all diesen Seracs zu stehen. Überall um uns lagen die Überreste von Lawinen und Eisabbrüchen. Zerfallene Eisblöcke bedeckten den Gletscher oberhalb. Wir würden ein paar Minuten unter den Seracs quer über den Hang traversieren müssen, bevor es relativ sicher weiter den Berg hinaufging.

Es war ein kniffliger Moment. Unsere furchtlosen Anführer, Jack und Evert, schworen, weiterzugehen, aber die Zwillinge (Anna und Ella) und ich standen wie angewurzelt. Schließlich entschieden wir uns aber doch, weiterzugehen: Die Querung war extrem kurz, und das Risiko, dass ein Serac runterfällt, war winzig. Das erste Foto im Artikel zeigt genau diese Passage.
Die ganze Tour bisher verlief auf einer wiedergefrorenen Kruste, aber je weiter wir auf den Gletscher stiegen, desto schlimmer wurde sie. Es war alles ein bisschen unerwartet, schließlich hatten wir extra die Berichte auf skitour.fr geprüft und am Tag davor sah alles noch nach schönem, weichem Schnee aus. Wir hatten unsere Ski-Steigeisen nicht angelegt, und der Aufstieg über die Flanke wurde richtig rutschig. Ich konzentrierte all meine Energie darauf, den Core anzuspannen und die Balance zu halten.
Nach etwa 200 Metern führt die Route in einen weiteren flachen Couloir auf den Glacier Supérieur du Lautaret. Die breite, offene Fläche ist normalerweise ideal zum Aufsteigen mit Fellen, wenn auch ein bisschen steil. Unter einer Schicht verwehter Schneekristalle war noch die alte Fellspur zu erkennen. Allerdings waren die Schneeverhältnisse inzwischen zu durchwachsen fürs richtige Fellen, sodass wir bis zum Col Claire weiter zu Fuß „bootpacken“ mussten.

Es waren nur 500 Höhenmeter, aber sie zogen sich wie Kaugummi. Der Schnee war tief, und wir mussten eine Spur legen. Zum Glück konnten wir Evert Holma vorneweg schicken, damit er die Spur brach.
An manchen Stellen war der Schnee auch etwas pulvrig und verweht, was nie ideal ist. Ich vermute, dass diese Flanke oft so ist, weil es dort unheimlich frostig und dunkel bleibt – viel mehr als andere Hänge auf dieser Höhe in den Écrins. Anzeichen für Lawinenplatten gab es kaum, und wir waren den Seracs nicht mehr ausgesetzt. Trotzdem war es selbst unter diesen Bedingungen eine Herausforderung, ein paar hundert Meter pro Stunde zu schaffen.

Abseilen oder nicht?
Für alle, die den Col Claire erkunden wollen, solltet ihr euch überlegen, ob ihr abseilt oder nicht. Abseilen ist die sicherere Wahl, denn die Querung über den Grat zum Col ist extrem exponiert und erfordert ordentlich Standfestigkeit.
Zum Abseilen geht ihr bei genau 3.200 Metern nach links. Unten seht ihr einen gut sichtbaren Col unter einem kleinen, steilen Couloir, das weiter den Berg hinaufführt. Das ist die Standardroute, und zum Schluss wartet noch ein spaßiges Bootpack von 250 Metern die steile Flanke hinauf bis zum Col. Wie lang das Abseilen genau ist, weiß ich nicht, aber zwei 60-Meter-Seile reichen locker, eines allein ist zu kurz.
Die andere Option ist, oberhalb der Skiroute weiter den Berg hinaufzugehen. Hier kommt ihr in richtig wildes Gelände. ES fühlt sich an, wie richtiges Bergsteigen. Wenn ihr diesen Weg wählt, seid ihr beim mit Abstand kniffligsten Teil der Mission. Ihr quert eine hängende Flanke, etwa 20 Meter über einer 150-Meter-Abbruchkante, die zum Glacier d’Armande hinunterfällt.

Zum Glück hatten wir die Spuren vergangener Gruppen wiederentdeckt und konnten sehen, dass in den letzten Tagen schon viele hier entlanggegangen waren. Das gab uns ordentlich Selbstvertrauen in den Schnee. Selbstbewusst musst du hier wirklich sein, denn eine Lawine – oder irgendein Absturz – wäre fatal. Wir querten diese exponierte Passage einzeln, stiegen dann eine letzte Steilstufe hoch und erreichten eine weitere Querung (immer noch exponiert), bis wir schließlich am Col Claire ankamen. Das ist wirklich ein klassischer Aufstieg, der es locker mit den besten Touren der Alpen aufnehmen kann. Vom Col du Lautaret aus sieht man den Col Claire, und ich habe selten Spuren dort gesehen, jetzt weiß ich auch, warum. Das Skifahren ist traumhaft, aber nicht unbedingt leicht. Doch es ist der Aufstieg, der diese Route zu einer der aufregendsten macht, die ich je gemacht habe.

Col Claire Skiabfahrt
Es gibt nichts Besseres, als den Gipfel zu erreichen – beim Col Claire gilt das besonders. Leider war der Wind, der vom Gletscher wehte, ziemlich kalt (trotz des insgesamt warmen Frühlingstages in den Tälern), sodass wir schnell weiter mussten. Ansonsten ist es ein richtig schöner Platz zum Verweilen, mit viel Platz und außergewöhnlicher Aussicht.

Die erste Steilstufe vom Gipfel ist die „Money Pitch“. Ganze 200 Meter mit satten 50 °, perfekt für Sprungkurven, aber keineswegs unbeherrschbar. Auf der rechten Seite (aus Sicht des Skifahrers) liegt selten Eis, am besten bleibt man also links oder in der Mitte. Am Fuß dieser Steilstufe liegt ein Bergschrund, der nur etwa einen halben Meter tief war... je nach Schneedecke kann er größer oder kleiner ausfallen. Der Schnee war kreidig, aber griffig. Kein Pulverschnee, aber trotzdem ordentlich zum Steilabfahren.
Nach dem Schrund wird die Routenfindung schon etwas kniffliger. Man muss ganz schön um Seracs herumzirkeln, aber sobald man den Weg gefunden hat, lief es wie am Schnürchen. 50 Meter hohe Eiswände direkt über einem wirken ziemlich einschüchternd, also waren wir ziemlich zügig. Es ist immer aufregend, First Tracks zu haben, aber es war auch eine Erleichterung, die schwachen Spuren anderer Skifahrer zu sehen, die einem durch die Gletscherspalten den Weg wiesen – und natürlich Jack, der die Abfahrt führte.

Zwischen den Engstellen geht es über angenehm steile, schüsselförmige Gletscherhänge hinunter. Bei Pulver oder zumindest weichem Winterpulver wäre das sicher eine meiner Lieblingsabfahrten gewesen, und ich hab schon einige auf meinem Buckel. Aber... wir waren wir ein bisschen spät dran, und die Bedingungen waren wechselhaft. Sicherlich nicht schlecht, aber auch nichts, worüber man sofort berichten müsste.

Generell verläuft die Route nach rechts des Skifahrers zu einem breiten Ausstiegs-Kouloir. Schwer zu verfehlen, aber falls doch, braucht man wohl einen Flügel, um den 200-Meter-Absturz zu meistern. Danach standen wir wieder vor der bröckelnden Moräne, die wir auf dem Aufstieg passiert hatten. Meistens kann man auf diesem Abschnitt herrlichen Frühjahrs-Cornschnee erwarten – Überbleibsel des unteren Glacier d’Armande. Leider war es an diesem Tag gerade kalt genug, dass der Schnee selbst hier unten auf 2.400 Metern noch nicht richtig aufgetaut war.
Der untere Gletscherrest ist inzwischen wie Schweizer Käse ausgehöhlt und zeigt einige beeindruckende Eishöhlen. Nach dem obligatorischen Traverse- und Fotostopp durch die Eishöhle auf 2.300 Metern konnten wir noch ganz passables Frühjahrsskifahren bis auf 1.700 Meter genießen. Das untere Gelände bis zum Fluss Romanche macht tatsächlich richtig Spaß und lohnt sich auch für sich allein.

Ich fuhr nach unten und habe... zack... meinen Helm im Schnee gefunden, anscheinend unversehrt, obwohl meine Freundin da ganz anderer Meinung ist (und vermutlich hat sie recht). Tja, wieder ein Teil Ausrüstung auf der Einkaufsliste!
Es war ein etwa 30-minütiger Aufstieg vom Fluss bis zum Parkplatz, und es fühlte sich fast wie ein Sommernachmittag an. Ich war überrascht, dass wir oben nicht mehr Frühlingsverhältnisse erwischt haben, aber so ist es eben. Trotz der eher unspektakulären Schneeverhältnisse haben die coole Crew und die exponierten, exotischen Gletscherpassagen diese Tour unvergesslich gemacht.

Die PeakVisor App
Interessierst du dich fürs Skifahren? Dann wirf einen Blick auf die PeakVisor App. PeakVisor gehört seit fast einem Jahrzehnt zu den führenden Tools im Bereich Augmented-Reality-3D-Karten. Wir sind das Ergebnis von fast zehn Jahren Arbeit eines kleinen Softwarestudios mitten in den Alpen. Unsere detaillierten 3D-Karten sind das perfekte Tool fürs Wandern, Biken, Alpinismus und – im Kontext dieses Artikels besonders wichtig – fürs Skifahren!


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