Ein Übernachtungsausflug in einem der besten Nationalparks Australiens
Es war fast Abenddämmerung, als Anna und ich endlich in den Wilsons Promontory (Prom) Nationalpark hineinfuhren. Unsere Hintern schmerzten nach 18 Stunden Fahrt entlang der Küste von Sydney in den vergangenen Tagen. Es versteht sich von selbst, dass wir im Dunkeln unser Camp aufbauen und Abendessen kochen m[ssten. Müde hielten wir Ausschau nach Wombats und Wallabys, während wir den unhandlichen ‚Big Kahuna‘ Nissan Patrol über kurvige Straßen und durch die Heidelandschaft manövrierten.
Während der Fahrt hatten wir gefühlt alle Lieder der letzten dreißig Jahre gehört und waren tief in die Podcast-Welt eingetaucht. Experten diskutierten gerade über die nächste australische Wahl, als sich die Heidelandschaft plötzlich auflöste wie Wolken, die sich zum Himmel öffnen. Vor uns erstreckte sich die Bass Strait mit ihren Dutzenden Inseln, während das verblassende Sonnenlicht von leuchtenden Violett- und Orangetönen durchzogen wurde. In diesem Moment wurde mir klar: Wir waren an einem wirklich außergewöhnlichen Ort angekommen.

Tidal River
Kurz nach diesem beeindruckenden Sonnenuntergang (der selbst für Australien atemberaubend war) erreichten wir Tidal River, das Herzstück von Wilsons Prom
Das Campen in Tidal River (und im gesamten Wilsons Prom) ist zwar kostenlos, aber du musst im Voraus reservieren – sowohl für die Auto-Campingplätze als auch für die Wanderer-Übernachtungsplätze bei Parks Victoria (verlinkt). Ein Hinweis vorweg: Die Plätze sind schnell vergeben. Frühzeitig reservieren lohnt sich – leider setzt dich das auch dem bekannlicht unbeständigen Wetter des Prom aus. Große Schönheit hat eben ihren Preis, selbst wenn es kein finanzieller ist.
Die einzige Ausnahme ist der Campingbereich für ‚Übernachtungshiker‘ am äußersten Ende von Tidal River, auf der linken Seite, wenn man an den letzten Hütten vorbeifährt. Wir hatten den Autocampingplatz nicht reserviert und übernachteten daher hier. Es ist deutlich ruhiger als der belebte Autocampingbereich, dafür aber auch unpraktischer. Du musst einen kurzen Hügel über Wanderwege erklimmen (in unserem Fall im Dunkeln) und bist weit entfernt von Duschen, Wasserstellen und sonstigen Einrichtungen. Unterwegs kannst du die Wombats auf ihrer nächtlichen Patrouille begrüßen.
Planung unserer Route
Bei der Planung einer Backpacking-Tour spielen viele Faktoren eine Rolle: Wie lange willst du unterwegs sein? Welche Strecke willst du zurücklegen? Wo willst du campen? Wie viel Verpflegung solltest du einpacken? Wie wird das Wetter sein? Die PeakVisor-App bietet eine gute Vorlage, um mit möglichen Wanderstrecken zu experimentieren.
PeakVisor begann als Tool zur Gipfelerkennung, aber inzwischen haben wir auch die besten verfügbaren 3D-Karten entwickelt. Wir haben Informationen zu allen öffentlich zugänglichen Wanderwegen, Campingplätzen, Berghütten und anderen bemerkenswerten Trail-Features weltweit gesammelt und auf unseren Karten dargestellt. Perfekt, um Routen vorab zu planen. Im Anschluss kannst du deine Wanderungen auch noch direkt in der App verfolgen, Fotos für andere Nutzer hochladen und ein Tagebuch all deiner Outdoor-Abenteuer führen. Kürzlich haben wir hochauflösende Wettervorhersagen für jeden Punkt der Erde hinzugefügt, sodass du Prognosen für verschiedene Höhenlagen oder Ausrichtungen abrufen kannst.


Planung der Wanderung und Tracking in der App. Auf dieser langen Wanderung war es besonders hilfreich, die verbleibende Entfernung zu kennen
Wir hatten zwei Übernachtungen auf dem Refuge Cove Campground gebucht. Leider ist die nördliche Hälfte der beliebten Rundroute schon seit Jahren gesperrt, sodass wir statt einer Schleife denselben Hin- und Rückweg über den Boulder Saddle nehmen mussten. Das bedeutete jeweils 24 km Wandern am ersten und dritten Tag – auf derselben Strecke.
In diesem Fall wussten wir, dass wir etwa 6,5 Stunden (ohne Pausen) bis nach Refuge Cove brauchen würden. Trotzdem wollten wir die Strecke an einem Tag schaffen, weil wir dadurch einen ganzen Tag Zeit zum Erkunden und Entspannen am Strand haben würden. Das Wetter war anfangs wechselhaft, aber am zweiten und dritten Tag einfach herrlich.
Entlang der Route gibt es zahlreiche Wasserquellen, aber das Wasser muss aufbereitet werden. Aufgrund der Tannine aus zerfallenden Blättern ist das Wasser meist leicht bräunlich.

Die Wanderung zum Refuge Cove
Am Prom regnet es ziemlich oft und wir hatten unseren Regen gleich zu Beginn in Tidal River. Die Nacht war nass, und am nächsten Morgen packten wir unser Campingzeug triefend im Halbschlaf zusammen. Nach einer dringend nötigen Dusche stellten wir das Auto auf dem Parkplatz für „Overnight Hiker“ ab. Um 13 Uhr zu starten war alles andere als ideal, schließlich lagen bis nach Refuge Cove 24 km vor uns.

Es dauerte etwa einen Kilometer, bis wir die Schönheit des Ortes richtig begriffen... noch beeindruckender als der Sonnenuntergang am Tag zuvor.
Ich glaube, ich wusste einfach nicht so recht, was mich erwarten würde. Die Meereslandschaft erinnerte eher an Queensland, oder ein anderes tropisches Ziel, als an das südliche Ende Australiens. Weiße Sandstrände prägen die Ost- und Westküste, wo die beliebteste Overnight-Hiking-Runde verläuft. Der südliche Zipfel des Prom ist hingegen wilder, mit hohen Klippen und felsiger Küste statt geschützter, sandiger Buchten.
Das gesamte Kap besteht aus verwitterndem Granit. Die Felsformationen sind wunderschön, doch das Beste an diesem Granit ist, dass er sich dank seines Quarzgehalts in wunderbar feinen weißen Sand auflöst. Ich hatte immer gedacht, dass tropische Strände aus Muscheln und Korallen am weißesten sind, aber das stimmt nicht. Tatsächlich erzeugt Granitsand einige der weißesten Strände der Welt. Der Quarz sorgt außerdem dafür, dass der Sand beim Gehen ein seltsames Quietschen und Schmatzen von sich gibt.
Man muss gar nicht weit laufen, um den weißesten aller weißen Strände zu sehen: Der passend benannte Squeaky Beach ist eine relativ kurze Wanderung hin und zurück von Tidal River (insgesamt etwa eine Stunde und fünfzehn Minuten). Alternativ kann man auch einfach hinfahren.
Unsere Tour führte uns von Tidal River über Little Oberon Bay bis zur Oberon Bay – jeder Strand noch beeindruckender als der vorherige. Der Weg von der Oberon Bay zur Waterloo Bay ist etwas weniger spektakulär, da der Großteil der Strecke auf unbefestigten Straßen und Doppelpfaden verläuft, dafür ist das Gelände deutlich leichter. Flache Abschnitte sind auf Wilson’s Prom rar gesät. Bereite dich also auf stetiges Auf und Ab vor.


Von der Waterloo Bay sind Wanderer nur etwa 30 Minuten vom gleichnamigen Campingplatz entfernt, etwas nördlich des größten Strandes. Bis zum Refuge Cove dauert es jedoch noch rund 2,5 Stunden. Dafür ist dies die landschaftlich schönste Etappe der Tour. Hier ist der Urwald aus Eukalypten dichter, und riesige Baumfarne säumen die schattigen Täler. Ein paar steilere Anstiege auf dem Singletrail bringen dich ins Schwitzen, aber nichts davon ist wirklich hart.

Die Aussichten sind schier endlos. Einerseits ist das ständig wechselnde Panorama von Meer und Küste einfach faszinierend. Andererseits sind auch die Berge überraschend beeindruckend. Der Mount Wilson erreicht respektable 709 m, direkt vom Meeresspiegel aufsteigend. Die Eukalyptusblätter enthalten ätherische Öle, die das Blätterdach dezent mit einer leicht düsteren Note durchziehen und dem Wald ein besonders urzeitliches Gefühl verleihen. Der Wind heulte, als wir den letzten Kamm hinüber zum Refuge Cove überquerten, und die Sonne verschwand hinter den Bergen, all das verstärkte dieses „Anderssein“, das den australischen Kontinent so besonders macht.



Die ersten Eindrücke von Refuge Cove trafen uns schon vom Gipfel dieses Kamms aus mit voller Wucht. Aus dem vom Wind gepeitschten Eukalyptuswald tauchte eine kleine Bucht auf, abgeschirmt vom unruhigen Meer und vollkommen im Einklang mit der Welt. Wie auf Kommando legte der Wind eine Pause ein, und wir stiegen den Pfad hinab in das stille Refugium dieses Ortes.
Der Campingplatz ist weit schöner als Oberon oder Waterloo Bay und bietet für jede Nacht reichlich Platz für die maximal 40 Gäste. Dank einfachem Zugang zu Wasser und Strand gilt er als der beste Platz auf der Prom.



Ein Tag am Refuge Cove
Jeder Campingplatz kann pro Aufenthalt maximal zwei Nächte gebucht werden. Wir waren jedoch die einzigen Gäste auf unserem Platz und konnten einen ganzen Tag lang einfach in diesem Paradies faulenzen. Klar, Sealer’s Cove oder Waterloo Bay sind jeweils nur ein paar Stunden entfernt. Trotzdem gibt es nichts Vergleichbares, als an einem wunderschönen Ort aufzuwachen und zu wissen, dass an diesem Tag nichts von einem verlangt wird. Natürlich hatte uns die Tour von Tidal River nach Refuge Cove an einem Tag auch ein bisschen mitgenommen.
Der Tag begann mit Frühstück, gefolgt von einem fünfminütigen Gang zum Strand. Die Wolken von gestern hatten sich verzogen, und der Morgennebel war verschwunden, sodass nur noch strahlender Sonnenschein über dem Promontory herrschte. Der weiße Sand und das Wasser in einem intensiven Türkis – wirklich türkis – sahen so einladend aus wie nie zuvor. Leider war es auch eiskalt (schließlich war es Anfang Dezember), sodass man kaum länger als ein paar Minuten aushielt.

Bei weiteren Erkundungen stießen wir auf ein Bootscamp: Ja, es ankern hier ab und zu Segelboote und Yachten, aber an unserem Tag war (glücklicherweise) alles leer. Ein Schatz an Walskeletten und Namensplaketten erzählt von der Geschichte des Camps sowie der frühen europäischen Entdeckungsreisen. Offenbar war die Bucht einst ein Zentrum der Walfangindustrie, da sie eine der wenigen sicheren Stellen entlang der Küste bot, an der Schiffe ankern konnten.

Die wandernden Sandbänke legen manchmal ein Skelettfeld etwa 50 Meter vor der Küste frei. Die Walbestände wurden damals rasch dezimiert, und die Walfangindustrie war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts am Ende. Heute haben sich Buckelwale größtenteils erholt und sind während der Frühlings- und Herbstwanderungen an der australischen Küste häufig zu sehen. Die Südkaperwale hingegen haben sich weniger gut erholt und gelten laut IUCN nach wie vor als gefährdet.

Am Nachmittag führte uns der Pfad in etwa fünfzehn Minuten zum Nördlichen Refuge Cove, wo wir abwechselnd schwammen und uns in der Wärme der Sonne aalten. Vollkommene Ruhe und Einsamkeit prägten diesen unvergesslichen Küstenabschnitt.
Wir wanderten zurück, bereiteten unser Abendessen im anhaltenden Glanz der Dämmerung zu und gingen früh schlafen.

Zurück nach Tidal River
Ganz im Gegensatz zum Frieden des Vortags mussten wir am nächsten Morgen den Wecker stellen. Es stand der nächste Abschnitt unseres Roadtrips an, und wir mussten bis zum späten Nachmittag in Melbourne sein. Der Rückweg war, nun ja, der Rückweg. Leider begleiteten müde Füße und schlecht sitzende Schuhe die Hitze und die gnadenlose Sonne. Ein perfekter Tag, um im Wasser zu faulenzen – aber denkbar ungeeignet für eine 24 km lange Wanderung mit fast 1.000 Metern Höhenunterschied. Schritt für Schritt, Stunde um Stunde, fanden wir Trost in SPF 50 Sonnencreme und gelegentlichen Haribo-Gummibärchen.


Unser Durchhaltevermögen wurde nach der Ankunft in Tidal River mit Chips und einem Sprung ins Wasser am Norman's Beach belohnt. Es tat einfach nur gut! Die geschwollenen Füße entspannten sich, die Körpertemperatur normalisierte sich langsam, und der typische „Backpacker-Duft“ spülte sich entlang der Sandbank weg. Das Wasser war hier deutlich wärmer und einfach perfekt erfrischend.
Es war Zeit für das nächste Abenteuer: das Meredith Music Festival. Aber Wilson’s Prom hat sich tief in mein Herz eingeprägt – wie kein anderer Naturort, den ich in Australien besucht habe. Bis zum nächsten Mal!

