Kühe, Heidelbeeren und Lawinen

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Ein Feinschmecker-Blick auf die französischen Alpen

Bei der Erwähnung der französischen Alpen denken die meisten Wintersportler oder Sommerwanderer sofort an würziges Fondue oder ein Stück leicht gebräunter Raclette-Käse, geschmolzen über kleinen Kartoffeln und Cornichons.

Jahrhundertelang haben geografische Grenzen das Eindringen industrieller Produkte, kommerzieller Milchwirtschaft und fremder Zutaten verhindert. Dadurch sind die französischen Alpen zu einem echten Hotspot für regionale Esskultur geworden. Die Zutaten stammen vor allem von den Pflanzen, Pilzen und Tieren, die direkt in der Umgebung verfügbar sind.

Trotz ihrer relativen Abgeschiedenheit stehen die Regionen Haute-Savoie und Hautes-Alpes, und die Alpen insgesamt, vor Herausforderungen: die Bevölkerung in traditionellen Dörfern schrumpft, der Kommerz breitet sich aus, und letztlich droht ein Verlust kulinarischer Traditionen.

Kühe Heidelbeeren Lawinen

Myrtille Myrtille

Almwiesen bieten eine Fülle an Kräutern, Beeren und Pilzen. Die berühmte Myrtille – eine süß-saure Wildheidelbeere mit leicht bitterer Schale und tanninartigem Nachgeschmack – fühlt sich auf bewachsenen, steilen Moränen und Graten direkt oberhalb der Baumgrenze wohl. Sie wächst außerdem in Zwergformen, zwischen schattigen Fichtenbeständen und sogar auf Ameisenhügeln.

Die Myrtille zieht gleichermaßen Almwirte, Feinschmecker und Kinder an. Am besten pflückt man sie Mitte bis Ende Juli mit einem Blaubeerpflücker, der die ungenießbaren Stiele und Blätter von den Beeren trennt.

Nach der Ernte wird sie entweder direkt gegessen oder sofort eingefroren, damit auch der naschhafte Alpinist noch tief im Winter in den Genuss einer Myrtille-Tarte kommt. Eine gute Tarte ist nicht zu süß, mit einer ordentlichen Portion leicht gezuckerter Beeren auf einem krümeligen Butterteigboden und getoppt mit süßer Sahne. Bei den Franzosen überrascht es kaum, dass diese köstlichen, tiefblauen Beeren in alles Mögliche wandern – von Likören über Wurstwaren bis hin zu Marmeladen.

Myrtille-Tarte. Kühe Heidelbeeren Lawinen
Myrtille-Tarte

Saucisson Montagnard – eine luftgetrocknete Delikatesse

Nichts schreit so sehr nach Haute-Savoie wie eine gute Saucisson, die mit einem alten, rostigen Opinel-Messer aufgeschnitten wird und zusammen mit einem Stück warmem Sauerteigbaguette in der Skijacke verschwindet. Saucisson hat alles, was sich der hungrige Bergwanderer nur wünschen kann.

Die französische Bergwurst kommt in allen Formen und Größen. Eine Saucisson sollte leicht nachgeben, eine grau-bläuliche Schimmelrinde haben und einen etwas dickeren Darm besitzen, der sich leicht abziehen lässt. Ist sie hart oder schwer zu schälen, ist sie zu trocken. Zu trockene Saucisson hat meist eine zähe Konsistenz und schmeckt säuerlich und übermäßig gesalzen.

Das Schweinefleisch sollte von lokalen Tieflandweiden mit Bio-Schweinen stammen. Hochwertige Zusatzstoffe beschränken sich idealerweise auf Kräuter, Haselnuss, Myrtille, Boletus edulis (Steinpilz), reines Salz und Pökelsalz (Natriumnitrit), eventuell ein Hauch Traubenzucker (Dextrose). Beim ersten Biss sollte ein saftig-zäher Eindruck entstehen, während sich die ungewöhnliche Kombination aus Aromen von Schimmel, Ammoniak, Asche, Wald, Salz und süßem Schweinefleisch auf der Zunge entfaltet.

Saucisson reift in den Jurabergen Frankreichs. Kühe Heidelbeeren Lawinen
Saucisson reift in den Jurabergen Frankreichs. User:Arnaud 25, Öffentliche Domain, über Wikimedia Commons

Likör

Für alle, die ihren Alkoholkonsum strikt einschränken, sind die französischen Alpen eine echte Herausforderung. Was der Steinobstschnaps für Schweizer und österreichische Alpinisten ist, ist der Génépi für ihre französischen Nachbarn. Destilliert aus den Blüten des Wermutkrauts (einer krautigen Pflanze, die hochalpin wächst) bietet Génépi ein faszinierendes Geschmackserlebnis mit Noten von Rosmarin, Pfeffer, Karamell, Anis, Lakritz und Zitronenschale.

Wermutkraut. Kühe Heidelbeeren Lawinen
Wermutkraut

An einem sonnigen Märztag, vielleicht nach einer schönen Skitour in der Nachmittagssonne und einem herzhaften Essen vor einer traditionellen Hütte, ist es nicht ungewöhnlich, eine Flasche Génépi zu entkorken und stundenlang in der alpinen Stille zu entspannen. Deine Ohren knistern noch vom Frost, du hörst nur das leise Summen der Kondensstreifen hoch oben und die frühen Frühlingsvögel durchbrechen das funkelnde Weiß. Da wärmt ein schöner Génépi Körper und Geist.

Hausgemachter Génépi aus der kleinen Bergstadt Briançon. Kühe Heidelbeeren Lawinen
Hausgemachter Génépi aus der kleinen Bergstadt Briançon. Véronique PAGNIER, Öffentliche Domain, über Wikimedia Commons

Käse

Charles de Gaulle hat einmal gesagt „Wie kann man ein Land regieren, in dem es 246 Käsesorten gibt?“ – und das gilt sicherlich auch für diese südöstliche Ecke Frankreichs.

Kühe verschiedener Rassen weiden auf den aromatischen Wiesen und liefern eine reichhaltige, krautige Milch, die mithilfe von sorgfältig gehüteten Bakterienkulturen zu unglaublich gutem Käse verarbeitet wird. Von Comté über Tomme bis hin zu allerlei Ziegen-, Kuh- und Schafskäse: Die französischen Alpen haben kulinarisch so einiges zu bieten.

Die Rohmilch wird in Kupferkesseln erhitzt, wodurch Fett und Käsebruch getrennt werden. Danach wird eine ausgewählte Kultursorte hinzugefügt, um den langen Fermentationsprozess zu starten. Die Rinde wird bestäubt, mit Lake gewaschen oder in Kastanienblätter bzw. Walnüsse gehüllt. Spezielle Keller (cave d’affinage) sorgen dafür, dass Ammoniak, Milchsäure und Blausäure die perfekte Balance aus Bitterkeit, Säurenoten und Erdigkeit erzeugen. Zu viel Ammoniak und der Käse schlägt dir sprichwörtlich in die Nase.

Comté reift in einer Cave d’affinage in der Region Haut-Doubs, Frankreich. Kühe Heidelbeeren Lawinen
Comté reift in einer Cave d’affinage in der Region Haut-Doubs, Frankreich. Arnaud 25, CC BY-SA 4.0, über Wikimedia Commons

Lokales Obst und Gemüse

Wie im Schweizer Rhonetal im Wallis liegt ein Großteil der Täler in den französischen Alpen in einem eher saisonal geprägten, mediterran beeinflussten Klima, anders als die maritime-kontinentale Ökologie, die in den nördlicheren Alpen vorherrscht.

Anders als in den Ostalpen dominieren Lärchen, Kiefern und Kastanien über dunkle Fichten, moosige Bachbetten und feuchte Wiesen. Die alpine Zone wirkt wie eine helle Mondlandschaft, mit steilen Klippen, die in abgelegene Täler führen, die den Großteil des Winters von grauem Nebel und gemäßigtem Wald bedeckt sind.

Geringere Niederschläge, stärkere Sonneneinstrahlung und häufige Temperaturinversionen lassen Walnüsse, Pflaumen und Weinberge bestens gedeihen. Die kühleren Täler der Haute-Savoie bieten außerdem ideale Bedingungen für Birnen und Äpfel, wie etwa die säuerliche Reinette-Sorte – ein kanadischer Import. Salat ist eine der wenigen Gemüsesorten, die in den Bergen gut wächst, und zählt zu den beliebten Grundnahrungsmitteln.

Vitamin C gibt’s heute dank der Nähe zu Italien, der Riviera und Spanien problemlos. Früher jedoch mussten die Menschen in den 4000-Meter-Massiven mit mehligem, sauerem Obst von den lokalen Händlern auskommen. Selbst heute werden Fruchtliebhaber von dem spärlichen Obstangebot in abgelegenen Bergdörfern enttäuscht, besonders im Winter. Käse, Wurst, Baguette und Wein dominieren nach wie vor.

Ziegen über La Grave, Hautes-Alpes, Frankreich. Foto: Sergei Poljak. Kühe Heidelbeeren Lawinen
Ziegen über La Grave, Hautes-Alpes, Frankreich. Photo: Sergei Poljak
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